Philosophie Lexikon der Argumente

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Erfahrung: reflektierte Wahrnehmung, die z.B. mit früheren Wahrnehmungen verglichen und sprachlich verarbeitet werden kann. Siehe auch Erlebnisse, Ereignisse, Wahrnehmung, Empfindung, Empirie.

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Anmerkung: Die obigen Begriffscharakterisierungen verstehen sich weder als Definitionen noch als erschöpfende Problemdarstellungen. Sie sollen lediglich den Zugang zu den unten angefügten Quellen erleichtern. - Lexikon der Argumente.

 
Autor Begriff Zusammenfassung/Zitate Quellen

Hans-Georg Gadamer über Erfahrung – Lexikon der Argumente

I 352
Erfahrung/Gadamer: Alle Erfahrung ist (...)
I 353
nur in Geltung, solange sie sich bestätigt. Insofern beruht ihre Dignität auf ihrer prinzipiellen Wiederholbarkeit. Das bedeutet aber, dass Erfahrung ihrem eigenen Wesen nach ihre Geschichte in sich aufhebt und dadurch auslöscht. Schon für die Erfahrung des täglichen Lebens gilt das, und erst recht für jede wissenschaftliche Veranstaltung derselben. Insofern ist es keine zufällige Einseitigkeit der modernen Wissenschaftstheorie, sondern sachlich begründet, dass die Theorie der Erfahrung ganz teleologisch auf den Wahrheitserwerb bezogen ist, der in ihr erreicht wird.
>Erfahrung/Husserl
.
I 356
Dass Erfahrung gültig ist, solange sie nicht durch neue Erfahrung widerlegt wird (ubi non reperitur instantia contradictoria), charakterisiert offenbar das allgemeine Wesen von Erfahrung, ganz gleich, ob es sich um ihre wissenschaftliche Veranstaltung im modernen Sinne handelt oder um die Erfahrung des täglichen Lebens, wie sie von jeher gemacht wurde. So entspricht diese Charakterisierung denn auch ganz der Analyse des Begriffs der Induktion, die Aristoteles im Anhang seiner zweiten Analytiken gegeben hat.(1)
>Induktion/Aristoteles.
I 358
GadamerVsAristoteles: Was Aristoteles an der Erfahrung interessiert, ist lediglich ihr Beitrag zur Begriffsbildung.
>Erfahrung/Aristoteles.
Wird so Erfahrung auf ihr Resultat hin betrachtet, so wird damit der
Gadamer I 359
eigentliche Prozess der Erfahrung übersprungen.
Gadamer: Dieser Prozess nämlich ist ein wesentlich negativer. Er ist nicht einfach als die bruchlose Herausbildung typischer Allgemeinheiten zu beschreiben. Diese Herausbildung geschieht vielmehr dadurch, dass ständig falsche Verallgemeinerungen durch die Erfahrung widerlegt, für typisch Gehaltenes gleichsam enttypisiert wird.(2)
Negative Erfahrung/Gadamer: (...) die eigentliche Erfahrung ist immer eine negative.
Wenn wir an einem Gegenstand eine Erfahrung machen, so heißt das, dass wir die Dinge bisher nicht richtig gesehen haben und nun besser wissen, wie es damit steht, Die Negativität der Erfahrung hat also einen eigentümlich produktiven Sinn. Sie ist nicht einfach eine Täuschung, die durchschaut wird und insofern eine Berichtigung, sondern ein weitgreifendes Wissen, das erworben wird.
Dialektische Erfahrung/Gadamer: Es kann also nicht ein beliebig aufgelesener Gegenstand sein, an dem man eine Erfahrung macht, sondern er muss so sein, dass man an ihm ein besseres Wissen nicht nur über ihn, sondern über das, was man vorher zu wissen meinte, also über ein Allgemeines gewinnt. Die Negation, kraft deren sie das leistet, ist eine bestimmte Negation. Wir nennen diese Art
der Erfahrung dialektisch.
>Erfahrung/Hegel.
I 361
(...) die Anwendung, die Hegel auf die Geschichte macht, indem er sie im absoluten Selbstbewusstsein der Philosophie begriffen sieht (>Erfahrung/Hegel), [wird] dem hermeneutischen Bewusstsein nicht gerecht (...).
Hermeneutik/Gadamer: Das Wesen der Erfahrung wird hier von vornherein von dem her gedacht, worin Erfahrung überschritten ist. Erfahrung selber kann nie Wissenschaft sein. Sie steht in einem unaufhebbaren Gegensatz zum Wissen und zu derjenigen Belehrung, die aus theoretischem oder technischem Allgemeinwissen fließt.
Offenheit: Die Wahrheit der Erfahrung enthält stets den Bezug auf neue Erfahrung. Daher ist derjenige, den man erfahren nennt, nicht nur durch Erfahrungen zu einem solchen geworden, sondern auch für Erfahrungen offen. Damit aber enthält der Begriff der Erfahrung, um den es jetzt geht, ein qualitativ neues Moment. Er meint nicht nur Erfahrung im Sinne der Belehrung, die sie über dieses oder jenes gewährt. Er meint Erfahrung im Ganzen.
I 363
Die eigentliche Erfahrung ist diejenige, in der sich der Mensch seiner Endlichkeit bewusst wird. An ihr findet das Machenkönnen und das Selbstbewusstsein seiner planenden Vernunft seine Grenze. Es erweist sich als bloßer Schein, dass sich alles rückgängig machen lässt, dass immer für alles
Zeit ist und alles irgendwie wiederkehrt. Der in der Geschichte Stehende und Handelnde macht vielmehr ständig die Erfahrung, dass nichts wiederkehrt. Anerkennen dessen, was ist, meint hier nicht: Erkennen dessen, was einmal da ist, sondern Einsicht in die Grenzen, innerhalb deren Zukunft für Erwartung und Planung noch offen ist - oder noch grundsätzlicher, dass alle
Erwartung und Planung endlicher Wesen eine endliche und begrenzte ist. Eigentliche Erfahrung ist somit Erfahrung der eigenen Geschichtlichkeit.
>Text/Gadamer, >Ich-Du-Verhältnis/Gadamer.
I 372
(...) die Negativität der Erfahrung [impliziert] logisch gesehen die Frage impliziert, In der Tat ist es der Anstoß, den dasjenige darstellt, das sich der Vormeinung nicht einfügt, durch den wir Erfahrungen machen. Auch das Fragen ist daher mehr ein Erleiden als ein Tun. Die Frage drängt sich auf. Es lässt sich ihr nicht länger ausweichen und bei der gewohnten Meinung verharren. >Frage/Gadamer.
I 421
Erfahrung/Gadamer: Die Erfahrung ist nicht zunächst wortlos und wird dann durch die Benennung zum Reflexionsgegenstand gemacht, etwa in der Weise der Subsumtion unter die Allgemeinheit des Wortes. Vielmehr gehört es zur Erfahrung selbst, dass sie die Worte sucht und findet, die sie ausdrücken.
>Sprache und Denken/Gadamer.
I 454
Erfahrung/Erkenntnis/Gadamer: Die Sprachlichkeit unserer Welterfahrung ist vorgängig gegenüber allem, das als seiend erkannt und angesprochen wird. Der Grundbezug von Sprache und Welt bedeutet daher nicht, dass die Welt Gegenstand der Sprache werde. Was Gegenstand der Erkenntnis und der Aussage ist, ist vielmehr immer schon von dem Welthorizont der Sprache umschlossen. Die Sprachlichkeit der menschlichen Welterfahrung als solche meint nicht die Vergegenständlichung der Welt.


1. An. Post. B 19 (99ff.).
2. Das wird durch Karl Poppers Begriffspaar von trial and error ähnlich beschrieben - mit der Einschränkung, dass diese Begriffe all zu sehr von der willentlichen, all zu wenig von der leidenschaftlichen Seite des menschlichen Erfahrungslebens ausgehen.
GadamerVsPopper: Das ist, soweit man die „Logik der Forschung“ allein im Auge hat, berechtigt, aber gewiss nicht, wenn man die im Erfahrungsleben der Menschen wirksame Logik meint.

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Zeichenerklärung: Römische Ziffern geben die Quelle an, arabische Ziffern die Seitenzahl. Die entsprechenden Titel sind rechts unter Metadaten angegeben. ((s)…): Kommentar des Einsenders. Übersetzungen: Lexikon der Argumente
Der Hinweis [Begriff/Autor], [Autor1]Vs[Autor2] bzw. [Autor]Vs[Begriff] bzw. "Problem:"/"Lösung", "alt:"/"neu:" und "These:" ist eine Hinzufügung des Lexikons der Argumente.

Gadamer I
Hans-Georg Gadamer
Wahrheit und Methode. Grundzüge einer philosophischen Hermeneutik 7. durchgesehene Auflage Tübingen 1960/2010

Gadamer II
H. G. Gadamer
Die Aktualität des Schönen: Kunst als Spiel, Symbol und Fest Stuttgart 1977

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