Philosophie Lexikon der Argumente

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Vernunft, Philosophie: Fähigkeit zur Einsicht. Der Vernunftbegriff wird im deutschen Idealismus vom Begriff des Verstands unterschieden, wobei letzterer sich auf die Erkenntnis von Regelmäßigkeiten und Unterschieden bezieht, ersterer auf die Begründung von Prinzipien, die den Regelmäßigkeiten zugrunde liegen. Siehe auch Verstand, Idealismus, Geist, Denken.

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Anmerkung: Die obigen Begriffscharakterisierungen verstehen sich weder als Definitionen noch als erschöpfende Problemdarstellungen. Sie sollen lediglich den Zugang zu den unten angefügten Quellen erleichtern. - Lexikon der Argumente.

 
Autor Begriff Zusammenfassung/Zitate Quellen

Wilhelm Dilthey über Vernunft – Lexikon der Argumente

Gadamer I 223
Vernunft/Dilthey/Gadamer: [Dilthey hatte die Absicht], Kants Kritik der reinen Vernunft durch eine Kritik der historischen Vernunft zu ergänzen. Schon diese Aufgabenstellung zeigt die Abkehr vom spekulativen Idealismus. Sie stellt eine Analogie auf, die ganz wörtlich zu verstehen ist. Dilthey
will sagen: Die historische Vernunft bedarf genau so einer Rechtfertigung wie die reine Vernunft. Das epochemachende Ergebnis der Kritik der reinen Vernunft war nicht nur, dass die Metaphysik als reine Vernunftwissenschaft von Welt, Seele und Gott zerstört wurde, sondern dass zugleich ein Bereich aufgewiesen wurde, innerhalb dessen der Gebrauch apriorischer Begriffe gerechtfertigt ist und Erkenntnis ermöglicht.
Gadamer: Diese Kritik der reinen Vernunft zerstörte nicht nur die Träume eines Geistersehers, sie beantwortete zugleich die Frage, wie reine Naturwissenschaft möglich ist. Nun hatte inzwischen der spekulative Idealismus die Welt der Geschichte in die Selbstexplikation der Vernunft mit hinein genommen und überdies, insbesondere durch Hegel, gerade auf historischem Gebiet geniale Leistungen vollbracht. Damit war der Anspruch der reinen Vernunftwissenschaft prinzipiell auf die
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geschichtliche Erkenntnis ausgedehnt worden. Sie war ein Teil der Enzyklopädie des Geistes. Aber in den Augen der historischen Schule war die spekulative Geschichtsphilosophie ein ebenso krasser Dogmatismus, wie es die rationale Metaphysik gewesen war. Vgl. >Kant/Gadamer
, >Erkenntnistheorie/Gadamer.
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Hegel: Indem Hegel die Vernunft in allem, sogar in der Geschichte lehrte, war er der letzte und universalste Vertreter der antiken Logos-Philosophie gewesen.
Problem: Jetzt sah man sich angesichts der Kritik an der apriorischen Geschichtsphilosophie erneut in den Bannkreis der kantischen Kritik geschlagen, deren Problem sich nun auch für die geschichtliche Welt stellte, nachdem der Anspruch einer reinen Vernunftkonstruktion der Weltgeschichte zurückgewiesen und die geschichtliche Erkenntnis ebenfalls auf Erfahrung beschränkt war. Wenn die Geschichte so wenig wie die Natur als eine Erscheinungsweise des Geistes gedacht wird, dann ist es ebenso ein Problem, auf welche Weise der menschliche Geist die Geschichte erkennen soll, wie die Naturerkenntnis durch die Konstruktionen der mathematischen Methode für ihn ein Problem geworden war.
Dilthey: So musste Dilthey neben Kants Antwort auf die Frage, wie reine Naturwissenschaft möglich sei, eine Antwort auf die Frage suchen, wie die geschichtliche Erfahrung zur Wissenschaft zu werden vermag. In klarer Analogie zu der kantischen Frage fragte er daher nach den Kategorien der geschichtlichen Welt, die die Geisteswissenschaften zu tragen vermöchten. Er vergisst nicht,
dass Erfahrung hier etwas grundsätzlich anderes ist als im Bereich der Naturerkenntnis.
Neukantianismus: Die kategoriale Analyse [des] “Gegenstandes der Erkenntnis” war in den Augen
des Neukantianismus die positive Leistung der Transzendentalphilosophie gewesen(1).
DiltheyVsNeukantianismus: [Dilthey] empfand den neukantianischen Kritizismus selber als dogmatisch, und er hatte damit ebenso recht, wie wenn er den englischen Empirismus dogmatisch nannte. Denn was den Aufbau der geschichtlichen Welt trägt, sind nicht aus der Erfahrung genommene Tatsachen, die dann unter einen Wertbezug treten, vielmehr ist ihre Basis die innere Geschichtlichkeit , die der Erfahrung selbst eignet. Sie ist ein lebensgeschichtlicher Vorgang und hat ihren Modellfall nicht im Feststellen von Tatsachen, sondern
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in jener eigentümlichen Verschmelzung von Erinnerung und Erwartung zu einem Ganzen, die wir Erfahrung nennen und die man erwirbt, indem man Erfahrungen macht. So ist es insbesondere das Leiden und die Belehrung, die durch die schmerzhafte Erfahrung der Wirklichkeit dem zur
Einsicht Reifenden bereitet wird, was die Erkenntnisweise der geschichtlichen Wissenschaften präformiert. Sie denken nur weiter, was in der Lebenserfahrung schon gedacht wird.

1. Vgl. H. Rickerts gleichnamiges Buch: Der Gegenstand der Erkenntnis. Freiburg 1892.

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Zeichenerklärung: Römische Ziffern geben die Quelle an, arabische Ziffern die Seitenzahl. Die entsprechenden Titel sind rechts unter Metadaten angegeben. ((s)…): Kommentar des Einsenders. Übersetzungen: Lexikon der Argumente
Der Hinweis [Begriff/Autor], [Autor1]Vs[Autor2] bzw. [Autor]Vs[Begriff] bzw. "Problem:"/"Lösung", "alt:"/"neu:" und "These:" ist eine Hinzufügung des Lexikons der Argumente.

Dilth I
W. Dilthey
Gesammelte Schriften, Bd.1, Einleitung in die Geisteswissenschaften Göttingen 1990

Gadamer I
Hans-Georg Gadamer
Wahrheit und Methode. Grundzüge einer philosophischen Hermeneutik 7. durchgesehene Auflage Tübingen 1960/2010

Gadamer II
H. G. Gadamer
Die Aktualität des Schönen: Kunst als Spiel, Symbol und Fest Stuttgart 1977

Gadamer I
Hans-Georg Gadamer
Wahrheit und Methode. Grundzüge einer philosophischen Hermeneutik 7. durchgesehene Auflage Tübingen 1960/2010

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