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Milgram-Experiment: Im Milgram-Experiment, das in den 1960er Jahren von dem Psychologen Stanley Milgram durchgeführt wurde, wurde der Gehorsam gegenüber Autoritäten getestet. Die Teilnehmer befolgten in dem Glauben, sie würden einer anderen Person Elektroschocks verabreichen, die Anweisungen einer Autoritätsperson. Das Experiment ergab eine hohe Bereitschaft, Befehlen zu gehorchen, selbst wenn diese mit dem eigenen Gewissen in Konflikt standen. Siehe auch Gehorsam, Konformität, Autorität, Verhalten, Sozialverhalten, Totalitarismus.

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Anmerkung: Die obigen Begriffscharakterisierungen verstehen sich weder als Definitionen noch als erschöpfende Problemdarstellungen. Sie sollen lediglich den Zugang zu den unten angefügten Quellen erleichtern. - Lexikon der Argumente.

 
Autor Begriff Zusammenfassung/Zitate Quellen

Stanley Milgram über Milgram-Experiment – Lexikon der Argumente

Haslam I 109
Milgram-Experiment/Milgram: Die Grundsituation für diese Studien (Milgram 1974)(1) beinhaltete ein Lernexperiment, bei dem sich der Teilnehmer in der Rolle eines "Lehrers" befand, der einem "Lernenden" jedes Mal, wenn der Lernende eine falsche Antwort gab, immer höhere Mengen an Stromschlägen verabreichen musste. Tatsächlich war der Lernende ein Verbündeter, der sorgfältig ausgebildet worden war, die Rolle zu spielen, und die beeindruckende Schockmaschine, die Schocks von zunehmender Größe zu liefern schien, war ebenfalls nicht echt - der Lehrer (der einzige wahre Teilnehmer an der Studie) wusste dies jedoch nicht. Für ihn (alle Teilnehmer der Frühstudie waren männlich) war die Situation sehr real.
Vor dem Experiment hatte Milgram verschiedene Gruppen (Psychiater, Studenten und bürgerliche Erwachsene) gefragt, wie weit sie in einer imaginären Situation gehen würden. Niemand hätte sich vorstellen können, bis zum "gefährlichen Schock" zu gehen.
Doch als Milgram Pilotstudien mit Studenten der Yale University durchführte, war dies nicht der Fall. Die meisten Teilnehmer der so genannten Baseline Kondition waren bereit, dem Experimentator bis zum bitteren Ende zu gehorchen.
Haslam I 110
Interpretation/Milgram: Milgram kam zu dem Schluss, dass dies dadurch zustande kommt, dass die Menschen mehr auf die Aufgabe achten, Anweisungen auszuführen, als auf die tatsächlichen Folgen dieser Aufgabe.
Haslam I 109
Einflüsse: Milgram war beeinflusst von Hannah Arendts Berichten über den Prozess gegen Adolf Eichman[n] in The New Yorker, der später als Eichman[n] in Jerusalem veröffentlicht wurde (Arendt, 1963/1994)(2).
Arendt: Eichmann und seine Art, so schlug sie vor, seien weniger von großem Hass bewegt als von dem kleinlichen Wunsch, eine Aufgabe gut zu erledigen und den Vorgesetzten zu gefallen. Tatsächlich haben sie sich so sehr auf diese Aufgaben konzentriert, dass sie die Folgen vergessen haben. Für dieses Phänomen prägte Arendt die Formulierung der "Banalität des Bösen". (Arendt 1963/1994(2): S.287).
Haslam I 113
Experiment: Die Teilnehmer, die durch eine Anzeige in der Lokalzeitung rekrutiert wurden, waren 40% Arbeiter, 40% Angestellte und 20% Fachleute. Der Experimentator erklärte, dass es in der Studie um die Auswirkungen von Strafen - Elektroschocks - auf das Lernen gehe. Dementsprechend würde einer der Teilnehmer als "Lehrer" und der andere als "Lernender" dienen. Dann wurde entschieden, wer welche Rolle übernehmen würde - dies wurde manipuliert, um sicherzustellen, dass der Freiwillige immer der Lehrer und der Helfer immer der Lernende war. Als nächstes wurden der Lehrer und der Lernende in einen anderen Raum gebracht und der Lernende in einen Stuhl geschnallt und Elektroden an seinem Körper befestigt.
Der Experimentator erklärte, dass "die Schocks zwar extrem schmerzhaft sein können, aber keine dauerhaften Gewebeschäden verursachen" (Milgram, 1974(1): 19). Die Lernaufgabe bestand aus Wortpaaren. Zuerst las der Kursleiter eine Reihe solcher Paare vor (z.B. Blue-Box). Dann las er in der "Testphase" ein Zielwort aus einem der Paare (in diesem Beispiel blau) und vier weitere Wörter (z.B. Himmel, Tinte, Box, Lampe). Der Lernende musste dann sagen, welches dieser vier Wörter ursprünglich mit dem Ziel (in diesem Fall Box) gepaart war. Wenn der Lernende eine falsche Antwort gab, musste der Lehrer einen Stromschlag auslösen, indem er einen der Schalter am Stoßgenerator drückte und mit jedem Fehler eine Stufe höher ging. Es gab 30 Schalter, die jeweils 15 Volt auf bis zu 450 Volt erhöhten. Wenn die Teilnehmer bis zur Maximalstufe voranschritten, wurden sie angewiesen, diese Stufe des Schocks für Folgefehler fortzusetzen.
Im Ausgangszustand, als der Lernende in den elektrischen Stuhl geschnallt wurde, erwähnte er, dass er eine leichte Herzerkrankung hatte. Dann, während der Aufgabe selbst, reagierte er gezielt auf verschiedene Schockstufen. (...) der Experimentator reagierte mit einem vorbestimmten Satz von Bemerkungen ("prods"). Diese waren wie folgt: Prod 1: Bitte fahren Sie fort [oder fahren Sie fort]. Prod 2: Das Experiment erfordert, dass Sie fortfahren. Prod 3: Es ist absolut notwendig, dass Sie fortfahren. Prod 4: Sie haben keine andere Wahl, sie müssen weitermachen.
In diesem Ausgangszustand gingen 26 von 40 Teilnehmern (65 %) den ganzen Weg bis zur Maximalstufe und widersetzten sich nie dem Experimentator - und dies trotz der Schreie, der Forderung freigelassen zu werden, der Nennung von Herzerkrankungen und schließlich der ominösen Stille des Lernenden. Von den 14, die sich weigerten, weiterzumachen, tat dies die größte Zahl (sechs) auf dem Niveau von 150 Volt. Nicht mehr als zwei Personen haben auf einer anderen Ebene das Experiment gestoppt.
Haslam I 115
Varianten: (...) Die bekannteste Reihe von Varianten befasst sich mit der physischen Nähe des Lernenden zum Experimentator.
1) Das "entfernte" Experiment: Der Lernende befindet sich in einem separaten Raum und seine Stimme ist für den Lehrer nicht hörbar. Die einzige Rückmeldung erfolgt bei 300 Volt, wenn an die Wand geklopft wird.
2) Sprachfeedback-Studie: (...) fast identisch mit der "Baseline Variante", außer dass zu keinem Zeitpunkt von einer Herzerkrankung die Rede ist.
3) (Nähe): ist wie die zweite, mit der Ausnahme, dass sich der Lehrer und der Lernende im selben Raum befinden, so dass es sowohl visuelles als auch akustisches Feedback gibt.
4) (Berührungsnähe): Der Lehrer muss die Hand des Lernenden auf eine metallische Stoßplatte drücken.
Andere Varianten: In einer Studie ist es der Lernende, der verlangt, dass die Schocks geliefert werden. Bei 150 Volt ruft der Experimentator einen Stopp der Studie, aber der Lernende zeigt eine Bereitschaft zum Weitermachen an.
In einer anderen Studie ist die Person, die verlangt, dass Schocks geliefert werden, kein Wissenschaftler in einem Laborkittel, sondern nur ein gewöhnlicher Mann, angeblich ein Freiwilliger für die Studie, genau wie der Teilnehmer. In dieser Situation gehorchen nur 4 von 20 Menschen (20%) bis zum Ende.
Haslam I 116
In noch einer weiteren Studie gibt es zwei Wissenschaftler, die sich darüber streiten, ob Schocks geliefert werden sollen. Auch hier ist keiner der 20 Teilnehmer (0%) voll gehorsam und 18 von ihnen stoppen an der 150-Volt-Marke.
Geschlecht: Varianten mit Frauen als Teilnehmerinnen: Wenn Frauen anstelle von Männern eingesetzt werden, gibt es keinen Unterschied in der Gehorsamkeit. Von 40 Teilnehmern sind 26 voll gehorsam (65%).
Schema: Das Milgram-Paradigma ist also ein Paradigma, bei dem der Teilnehmer von allen Seiten von verschiedenen Stimmen angegriffen wird, die unterschiedliche Dinge verlangen. Die Teilnehmer scheinen auf all diese Stimmen aufmerksam zu sein, und ihr Dilemma ist, welche sie über die anderen stellen sollen. >Erklärungen/Milgram.
Haslam I 118
VsMilgram: Selbst Milgrams leidenschaftlichste Bewunderer sind sehr skeptisch gegenüber der Erklärung des "agentischen Zustands" (z.B. Blass, 2004(3)). Wenn auch nur deshalb, weil es keine Beweise dafür gibt, dass die unterschiedlichen Gehorsamkeiten, die in den verschiedenen Studienvarianten beobachtet wurden, auf Unterschiede in der Art und Weise zurückzuführen sind, wie die Teilnehmer in diesen Zustand eintreten (Mantell und Panzarella, 1976)(4).
1.VsMilgram: Der agentische Zustand wird mechanisch als Alles-oder-Nichts-Affäre konzipiert: Man ist entweder ganz drin oder ganz raus.
2. VsMilgram: [der Fokus auf] eine der mehreren Beziehungen in der Studie - die zwischen Teilnehmer und Experimentator [verliert] die Tatsache [aus den Augen], dass ein wesentliches Merkmal der Studien die Art und Weise betrifft, wie die Teilnehmer zwischen verschiedenen Beziehungen und unterschiedlichen Verpflichtungen hin- und hergerissen werden. Sie befasst sich daher nicht mit der Frage, wie das Gleichgewicht der Beziehungen zwischen den verschiedenen Studien variiert.


1. Milgram, S. (1974) Obedience to Authority: An Experimental View. New York, NY: Harper & Row.
2. Arendt, H. (1963/1994) Eichmann in Jerusalem: A Report on the Banality of Evil. New York: Penguin.
3. Blass, T. (2004) The Man who Shocked the World: The Life and Legacy of Stanley Milgram. New York: Basic Books.
4. Mantell, D.M. and Panzarella, R. (1976) ‘Obedience and responsibility’, British Journal of Social and Clinical Psychology, 15: 239–45.


Stephen Reicher and S. Alexander Haslam, „Obedience. Revisiting Milgram’s shock experiments”, in: Joanne R. Smith and S. Alexander Haslam (eds.) 2017. Social Psychology. Revisiting the Classic Studies. London: Sage Publications


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Zeichenerklärung: Römische Ziffern geben die Quelle an, arabische Ziffern die Seitenzahl. Die entsprechenden Titel sind rechts unter Metadaten angegeben. ((s)…): Kommentar des Einsenders. Übersetzungen: Lexikon der Argumente
Der Hinweis [Begriff/Autor], [Autor1]Vs[Autor2] bzw. [Autor]Vs[Begriff] bzw. "Problem:"/"Lösung", "alt:"/"neu:" und "These:" ist eine Hinzufügung des Lexikons der Argumente.
Milgram, Stanley

Haslam I
S. Alexander Haslam
Joanne R. Smith
Social Psychology. Revisiting the Classic Studies London 2017

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