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Paul Ricoeur über Verstehen – Lexikon der Argumente

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Verstehen/Erklären/Ricoeur: (...) Man kann, zumindest einleitend, sagen, dass
- Verstehen: bedeutet zu lesen, was das Ereignis des Diskurses für die Äußerung des Diskurses ist und dass
- Erklären: bedeutet zu lesen was die verbale und textliche Autonomie für die objektive Bedeutung des Diskurses ist. >Diskurs/Ricoeur
.
II 72
Erklärung/Tradition: Es findet sein paradigmatisches Anwendungsfeld in den Naturwissenschaften. Wenn es äußere Tatsachen zu beobachten gibt, Hypothesen, die einer empirischen Überprüfung zu unterziehen sind, allgemeine Gesetze zur Erfassung solcher Tatsachen, Theorien zur Einbeziehung der verstreuten Gesetze in ein systematisches Ganzes und die Unterordnung empirischer Verallgemeinerungen unter hypothetisch-deduktive Verfahren, dann können wir sagen, dass wir "erklären".
Verstehen/Tradition: Das Verstehen dagegen findet sein ursprüngliches Anwendungsfeld in den Geisteswissenschaften, wo Wissenschaft mit der Erfahrung von
anderen Themen oder anderen Geistern, die unseren eigenen ähnlich sind, zu tun hat. Sie stützt sich auf die Sinnhaftigkeit von Ausdrucksformen wie physiognomische, gestische, stimmliche oder schriftliche Zeichen und auf Dokumente
II 73
und Denkmäler, die mit der Schrift den allgemeinen Charakter der Inschrift gemeinsam haben. Die unmittelbaren Ausdrucksarten sind sinnvoll, weil sie sich direkt auf die Erfahrung des anderen Geistes beziehen, die sie vermitteln.
Tradition/Ricoeur: Die Dichotomie zwischen Verstehen und Erklären in der romantischen Hermeneutik ist sowohl erkenntnistheoretisch als auch ontologisch. Sie stellt zwei Methodologien und zwei Sphären der Wirklichkeit, Natur und Geist, gegenüber.
II 75
Verstehen/Ricoeur: (...) wir müssen den Sinn des Textes erraten, weil die Absicht des Autors außerhalb unserer Reichweite liegt.
II 79
Interpretation: (...) wenn es wahr ist, dass es immer mehr als eine Art der Auslegung eines Textes gibt, so ist es nicht wahr, dass alle Auslegungen gleich sind. Der Text stellt ein begrenztes Feld möglicher Konstruktionen dar. Die Logik der Validierung erlaubt uns, uns zwischen den beiden Grenzen des Dogmatismus und der Skepsis zu bewegen. Es ist immer möglich, für oder gegen eine Interpretation zu argumentieren, Interpretationen zu konfrontieren, zwischen ihnen zu vermitteln und eine Einigung zu suchen, auch wenn diese Einigung außerhalb unserer unmittelbaren Reichweite bleibt.
II 81
Strukturelle Linguistik/Interpretation/Verstehen/Ricoeur: [der Ansatz der strukturellen Schulen der Literaturkritik] geht von der Anerkennung dessen aus, was ich die Aussetzung oder Unterdrückung des scheinbaren Bezugs (der Referenz) genannt habe. (>Referenz/Ricoeur). Der Text fängt die "weltliche" Dimension des Diskurses - den Bezug zu einer Welt, die gezeigt werden könnte - ebenso ab, wie er den Zusammenhang des Diskurses mit der subjektiven Intention des Autors unterbricht. Nach dieser Entscheidung hat der Text nicht mehr ein Äußeres, er hat nur noch ein Inneres. (...) gerade die Konstitution des Textes als Text und des Systems von Texten als Literatur rechtfertigt diese Umwandlung des literarischen Objekts in ein geschlossenes System von Zeichen, analog zu der Art von geschlossenem System, das die Phonologie als allen Diskursen zugrunde liegend entdeckte und das Saussure als langue bezeichnete. Nach dieser Arbeitshypothese wird die Literatur zu einem Analogon der Sprache. >Langue/Ricoeur.
II 86
Erklären/Literatur/Texte/Ricoeur: [Die] Übertragung eines linguistischen Modells auf die Erzähltheorie bestätigt meine einleitende Bemerkung zum zeitgenössischen Verständnis von Erklärung vollkommen. Heute ((s) 1976) wird der Erklärungsbegriff nicht mehr aus den Naturwissenschaften entlehnt und in ein anderes Feld, das der schriftlichen Dokumente, übertragen. Sie geht von der gemeinsamen Sphäre der Sprache aus, dank der analogen Übertragung von den kleinen Einheiten der Sprache (Phoneme und Lexeme) auf die großen Einheiten jenseits des Satzes, einschließlich Erzählung, Folklore und Mythos.

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Zeichenerklärung: Römische Ziffern geben die Quelle an, arabische Ziffern die Seitenzahl. Die entsprechenden Titel sind rechts unter Metadaten angegeben. ((s)…): Kommentar des Einsenders. Übersetzungen: Lexikon der Argumente
Der Hinweis [Begriff/Autor], [Autor1]Vs[Autor2] bzw. [Autor]Vs[Begriff] bzw. "Problem:"/"Lösung", "alt:"/"neu:" und "These:" ist eine Hinzufügung des Lexikons der Argumente.

Ricoeur I
Paul Ricoeur
Die Interpretation. Ein Versuch über Freud Frankfurt/M. 1999

Ricoeur II
Paul Ricoeur
Interpretation theory: discourse and the surplus of meaning Fort Worth 1976

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