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Urteilskraft: Kants Urteilskraft bezieht sich auf die Fähigkeit des Menschen, ästhetische, moralische oder teleologische Urteile zu fällen, ohne auf klare Regeln oder Erfahrung zurückzugreifen. Sie vereint Verstand und Sinnlichkeit, um ästhetische Schönheit zu beurteilen und moralische Prinzipien zu erkennen, indem sie subjektive Eindrücke in universelle Maßstäbe überführt. Siehe auch Urteile, Verstand, Wissen, Ästhetik, Moral.

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Anmerkung: Die obigen Begriffscharakterisierungen verstehen sich weder als Definitionen noch als erschöpfende Problemdarstellungen. Sie sollen lediglich den Zugang zu den unten angefügten Quellen erleichtern. - Lexikon der Argumente.

 
Autor Begriff Zusammenfassung/Zitate Quellen

Immanuel Kant über Urteilskraft – Lexikon der Argumente

Gadamer I 38
Urteilskraft/Kant/Gadamer: (...) wo dieser Begriff, wie im Pietismus oder in der Philosophie der Schotten(>Reid
), eine polemische Wendung gegen die Metaphysik bedeutet, bleibt er damit noch in der Linie seiner ursprünglichen kritischen Funktion. Dagegen ist Kants Aufnahme dieses Begriffs in der „Kritik der Urteilskraft“ ganz anders akzentuiert(1).
Kant/Gadamer: Der grundlegende moralische Sinn dieses Begriffs hat bei ihm keinen systematischen Ort mehr.
KantVsEmotivismus/KantVsSensus communis: Bekanntlich hat er seine Moralphilosophie geradezu im Gegenzuge gegen die in der englischen Philosophie entwickelte Lehre vom „moralischen Gefühl“ entworfen. So ist der Begriff des sensus communis aus der Moralphilosophie von ihm ganz ausgeschieden worden.
Was mit der Unbedingtheit eines moralischen Gebotes auftritt, kann nicht auf ein Gefühl gegründet werden, auch dann nicht, wenn man damit nicht die Einzelheit des Gefühls, sondern die Gemeinsamkeit des sittlichen Empfindens meint. Denn der Charakter des Gebots, der der Moralität eignet, schließt die vergleichende Reflexion auf andere grundsätzlich aus. Die Unbedingtheit des moralischen Gebots bedeutet für das moralische Bewusstsein gewiss nicht, daß es bei der Beurteilung anderer starr sein dürfe. Vielmehr ist es sittlich geboten, von den subjektiven Privatbedingungen des eigenen Urteils zu abstrahieren und sich in den Standpunkt des anderen zu versetzen. >Sittengesetz/Kant.
Gadamer I 39
So bleibt für Kant von der Reichweite dessen, was man ein sinnliches Urteilsvermögen nennen könnte, nur das ästhetische Geschmacksurteil übrig. Hier kann man von einem wirklichen Gemeinsinn reden. So zweifelhaft es sein mag, ob man beim ästhetischen Geschmack von Erkenntnis reden darf, und so gewiss im ästhetischen Urteil nicht nach Begriffen geurteilt
wird, so steht doch fest, daß im ästhetischen Geschmack die Zumutung der allgemeinen Beistimmung gedacht ist, auch wenn er sinnlich und nicht begrifflich ist. Der wahre Gemeinsinn also, sagt Kant, ist der Geschmack. >Geschmack/Kant.
Gadamer I 44
Es ist (...) keineswegs so, daß die Urteilskraft nur im Bereich von Natur und Kunst als Beurteilung des Schönen und Erhabenen produktiv ist, ja man wird nicht einmal mit Kant(2) sagen, daß
dort eine Produktivität der Urteilskraft anzuerkennen sei. Vielmehr ist das Schöne in Natur und Kunst durch das ganze weite Meer des Schönen zu ergänzen, das in der sittlichen Realität des Menschen seine Ausbreitung hat.
Gadamer I 45
Immer handelt es sich offenkundig nicht nur um logische, sondern auch um ästhetische Urteilskraft. Der Einzelfall, an dem die Urteilskraft tätig wird, ist nie ein bloßer Fall; er erschöpft sich nicht darin, die Besonderung eines allgemeinen Gesetzes oder Begriffes zu sein. Er ist vielmehr stets ein „individueller Fall“ und bezeichnenderweise sagen wir dafür: ein besonderer Fall,
ein Sonderfall, weil er von der Regel nicht erfasst wird.
Gadamer I 46
Geisteswissenschaften/Ästhetik/Ethik/Kant/Gadamer: Blickt man nun auf die Rolle, die Kants Kritik der Urteilskraft innerhalb der Geschichte der Geisteswissenschaften spielt, wird man sagen müssen, daß seine transzendental-philosophische Grundlegung der Ästhetik nach beiden Seiten folgenreich war und einen Einschnitt darstellt. Sie bedeutet den Abbruch einer Tradition, aber zugleich die Einleitung einer neuen Entwicklung. Sie hat den Begriff des Geschmacks auf das Feld eingeschränkt, auf dem er als ein eigenes Prinzip der Urteilskraft selbständige und unabhängige Geltung beanspruchen konnte - und engte umgekehrt damit den Begriff der Erkenntnis auf den theoretischen und praktischen Vernunftgebrauch ein. Die transzendentale Absicht, die ihn leitete, fand an dem eingeschränkten Phänomen des Urteils über das Schöne (und Erhabene) Erfüllung und verwies den allgemeineren Erfahrungsbegriff des Geschmacks und die Tätigkeit der ästhetischen Urteilskraft im Bereich von Recht und Sitte aus dem Zentrum der Philosophie. >Ästhetik/Kant.


1. Kritik der Urteilskraft, S 40.
2. Ebenda, S. VII.

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Zeichenerklärung: Römische Ziffern geben die Quelle an, arabische Ziffern die Seitenzahl. Die entsprechenden Titel sind rechts unter Metadaten angegeben. ((s)…): Kommentar des Einsenders. Übersetzungen: Lexikon der Argumente
Der Hinweis [Begriff/Autor], [Autor1]Vs[Autor2] bzw. [Autor]Vs[Begriff] bzw. "Problem:"/"Lösung", "alt:"/"neu:" und "These:" ist eine Hinzufügung des Lexikons der Argumente.
I. Kant
I Günter Schulte Kant Einführung (Campus) Frankfurt 1994
Externe Quellen. ZEIT-Artikel 11/02 (Ludger Heidbrink über Rawls)
Volker Gerhard "Die Frucht der Freiheit" Plädoyer für die Stammzellforschung ZEIT 27.11.03

Gadamer I
Hans-Georg Gadamer
Wahrheit und Methode. Grundzüge einer philosophischen Hermeneutik 7. durchgesehene Auflage Tübingen 1960/2010

Gadamer II
H. G. Gadamer
Die Aktualität des Schönen: Kunst als Spiel, Symbol und Fest Stuttgart 1977

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