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Sittlichkeit: Sittlichkeit ist die Gesamtheit der in einer bestimmten Gesellschaft gültigen moralischen Anschauungen und Verhaltensregeln. Siehe auch Gemeinschaft, Normen, Sitten/Sittlichkeit, Moral, Ethik, Regeln.

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Anmerkung: Die obigen Begriffscharakterisierungen verstehen sich weder als Definitionen noch als erschöpfende Problemdarstellungen. Sie sollen lediglich den Zugang zu den unten angefügten Quellen erleichtern. - Lexikon der Argumente.

 
Autor Begriff Zusammenfassung/Zitate Quellen

Aristoteles über Sittlichkeit - Lexikon der Argumente

Gadamer I 322
Sittlichkeit/Aristoteles/Gadamer: Die Aufgabe der sittlichen Entscheidung ist (...) die, in
der konkreten Situation (...) das Rechte zu treffen, d. h. das, was recht ist, konkret in die Situation hineinzusehen und in ihr zu ergreifen. Auch [der sittlich handelnde] muss also zugreifen und die rechten Mittel wählen, und sein Handeln muss genau so überlegt geleitet werden wie das des Handwerkers. Wieso ist es gleichwohl ein Wissen von ganz anderer Art?
Man lernt eine Techne - und kann sie auch verlernen. Man lernt aber nicht das sittliche Wissen und kann es auch nicht verlernen. Man steht ihm nicht in der Weise gegenüber, dass man es sich aneignen kann oder auch nicht, so wie man ein sachliches Können, eine Techne, wählen kann oder
nicht. Man ist vielmehr immer schon in der Situation dessen, der handeln soll (...).
Anwendung: Eben deshalb ist der Begriff der Anwendung in hohem Grade problematisch. Denn anwenden kann man nur etwas, was man schon vordem für sich besitzt. Das sittliche Wissen aber besitzt man nicht so für sich, dass man es schon hat und dann auf die konkreten Situationen anwendet.
Vorstellung: Das Bild, das der Mensch von dem hat, was er sein soll, also etwa seine Begriffe von Recht und Unrecht, von Anstand, von Mut, von Würde, von Solidarität usw. (alles Begriffe, die im
aristotelischen Tugendkatalog ihre Entsprechung haben), sind zwar in gewissem Sinne Leitbilder, auf die er hinblickt. Aber es ist doch ein grundsätzlicher Unterschied von dem Leitbilds erkennbar, das etwa der Plan eines herzustellenden Gegenstandes für den Handwerker darstellt.
Vorbild/Eidos/Aristoteles: das „Eidos“ dessen , was ein
Gadamer I 323
Handwerker herstellen will, [ist dagegen] voll bestimmt, und zwar durch den Gebrauch, für den es bestimmt ist.
Richtigkeit: (...) was recht ist, scheint ebenfalls in einem schlechthinnigen Sinne bestimmt. (...) [Es] ist ja in den Gesetzen formuliert und ebenso in allgemeinen Verhaltungsregeln der Sitte enthalten (...). Wieso ist das, was Aristoteles als die richterliche Form der Phronesis (dikastike ohronesis) bezeichnet, keine Techne?(1) >Phronesis/Aristoteles
.
Anwendung/Handwerker: [Der Handwerker] der den Plan der Sache und die Regeln der Ausführung hat und nun an die Ausführung herangeht, mag zwar auch genötigt sein, sich konkreten Umständen und Gegebenheiten anzupassen, d. h. darauf zu verzichten, seinen Plan genau so auszuführen, wie er ursprünglich gedacht war. Aber solcher Verzicht bedeutet keineswegs, dass
sich dadurch sein Wissen um das, was er will, vervollkommnet. Er macht vielmehr lediglich Abstriche bei der Ausführung.
Anwendung/Gesetze: [Der Anwender von Gesetzen] wird zwar in der konkreten Lage von der Strenge des Gesetzes nachlassen müssen. Aber wenn er das tut, geschieht das nicht, weil es nicht besser geht, sondern weil es sonst nicht recht wäre. Indem er am Gesetze nachlässt, macht
er also nicht etwa Abstriche am Recht, sondern er findet im Gegenteil das bessere Recht. Aristoteles gibt dem in seiner Analyse der der den bestimmtesten Ausdruck: „Epieikeia“(2) ist Berichtigung des Gesetzes.(3) Aristoteles zeigt, dass alles Gesetz in einer notwendigen Spannung zur Konkretion des Handelns steht, sofern es allgemein ist und deshalb die praktische Wirklichkeit in ihrer vollen Konkretion nicht in sich enthalten kann.
Gadamer I 326
Zweck/Mittel: [Es] zeigt sich eine grundsätzliche Modifikation des begrifflichen Verhältnisses von Mittel und Zweck, durch die sich das sittliche Wissen vom technischen Wissen unterscheidet. Es ist nicht nur so, dass das sittliche Wissen keinen bloß partikularen Zweck hat, sondern das Richtigleben im ganzen betrifft - wogegen natürlich alles technische Wissen ein partikulares
ist und partikularen Zwecken dient. Es ist auch nicht nur so, dass das sittliche Wissen überall dort eintreten muss, wo technisches Wissen erwünscht wäre, aber nicht vorhanden ist. Das sittliche Wissen kann grundsätzlich nicht die Vorgängigkeit eines lehrbaren Wissens besitzen. Das Verhältnis von Mittel und Zweck ist hier nicht von der Art, dass die Kenntnis der rechten Mittel im voraus verfügbar gemacht werden könnte, und das deshalb, weil die Kenntnis des rechten Zwecks ebenso wenig bloßer Gegenstand eines Wissens ist. Es gibt keine vorgängige Bestimmtheit dessen, worauf das rechte Leben im ganzen gerichtet ist. Die aristotelischen Bestimmungen der Phronesis zeigen aus diesem Grunde ein bezeichnendes Schwanken, sofern dies Wissen bald mehr
dem Zwecke, bald mehr dem Mittel zum Zweck zugeordnet wird.(4)
>Handeln/Aristoteles.
Gadamer I 328
Das sittliche Wissen ist wirklich ein Wissen eigener Art. Es umgreift in einer eigentümlichen Weise Mittel und Zweck und unterscheidet sich damit vom technischen Wissen. Eben deshalb hat es auch keinen Sinn, hier zwischen dem Wissen und der Erfahrung zu unterscheiden, wie das sehr wohl bei der Techne angängig ist. Denn das sittliche Wissen enthält selbst eine Art der Erfahrung in sich (...).
Verständnis/Verstehen: Verständnis ist als eine Modifikation der Tugend des sittlichen Wissens eingeführt, sofern es hier nicht um mich selbst geht, der zu handeln hat. Danach meint „Synesis“ eindeutig die Fähigkeit des sittlichen Beurteilens.

1. Eth. Nic. Z 8.
2. Eth. Nic. E 14
3. Lex superior preferenda est inferiori (schreibt Melanchthon zur Erläuterung der ratio der Epieikeia. (Die älteste Fassung von Melanchthons Ethik, hrsg. von H. Heineck (Berlin 1893 S. 29.).
4. Aristoteles betont im allgemeinen, dass die phronesis es mit den Mitteln (ta pros to telos) zu tun habe und nicht mit dem telos. Es dürfte der Gegensatz zur platonischen Lehre von der Idee des Guten sein, der ihn das so hervorheben lässt. Aber dass die phronesis kein bloßes Vermögen der rechten Mittelwahl ist, sondern selbst eine sittliche Hexis, die das Telos mit sieht, auf das der Handelnde durch sein sittliches Sein gerichtet ist, geht aus ihrem systematischen Ort innerhalb der aristotelischen Ethik eindeutig hervor. Vgl. Eth. Nic. Z 10, 1142 b33; 1140 b 13; 1141 b 15.

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Zeichenerklärung: Römische Ziffern geben die Quelle an, arabische Ziffern die Seitenzahl. Die entsprechenden Titel sind rechts unter Metadaten angegeben. ((s)…): Kommentar des Einsenders. Übersetzungen: Lexikon der Argumente
Der Hinweis [Begriff/Autor], [Autor1]Vs[Autor2] bzw. [Autor]Vs[Begriff] bzw. "Problem:"/"Lösung", "alt:"/"neu:" und "These:" ist eine Hinzufügung des Lexikons der Argumente.

Gadamer I
Hans-Georg Gadamer
Wahrheit und Methode. Grundzüge einer philosophischen Hermeneutik 7. durchgesehene Auflage Tübingen 1960/2010

Gadamer II
H. G. Gadamer
Die Aktualität des Schönen: Kunst als Spiel, Symbol und Fest Stuttgart 1977

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