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Gerichtsverfahren: Ein Gerichtsverfahren ist der formale Prozess zur Beilegung eines Rechtsstreits vor einem Gericht. Es umfasst die Vorlage von Beweisen, die Vernehmung von Zeugen und die Argumente der Anwälte. Das Ziel eines Gerichtsverfahrens ist es, eine faire und gerechte Lösung für den Streitfall zu finden. Siehe auch Rechte, Recht, Gerechtigkeit.

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Anmerkung: Die obigen Begriffscharakterisierungen verstehen sich weder als Definitionen noch als erschöpfende Problemdarstellungen. Sie sollen lediglich den Zugang zu den unten angefügten Quellen erleichtern. - Lexikon der Argumente.

 
Autor Begriff Zusammenfassung/Zitate Quellen

Sozialpsychologie über Gerichtsverfahren - Lexikon der Argumente

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Gerichtsverfahren/Schiedsrichterentscheidungen/Sozialpsychologie/Nadler/Mueller: (...) jeder einzelne Geschworene hört die von den Anwälten vorgetragenen Beweise und Argumente sowie die Anweisungen des Richters.
Geschichten-Modell: Nach dem "Story Model of Juror Decision-Making" (Bennett, 1978(1); Pennington und Hastie, 1981(2)) machen die Geschworenen den Sinn der Beweise in der Verhandlung aus, indem sie diese in einer narrativen Weise organisieren. Anstatt passiv die enorme Menge an komplexen Beweisen wortwörtlich aufzunehmen
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sowie mehrdeutige Informationen, die in einer Verhandlung gegeben werden, verarbeiten die Geschworenen die Informationen aktiv, indem sie den Rahmen ihres vorhandenen Wissens nutzen, um Lücken zu füllen und Geschichten aus den Beweisen zu konstruieren. Die Geschworenen erstellen eine Erzählung, die die verschiedenen zuverlässigen Beweise erklärt, und kommen dann zu einer Entscheidung, indem sie die am besten passende Geschichte den Urteilskategorien zuordnen.
Kriterien/Evaluierung: Um konkurrierende Geschichten zu bewerten, verwenden Juroren mehrere Kriterien. Die am meisten bevorzugte Geschichte erklärt die größte Menge an Beweisen, ist in sich konsistent und lässt keine Lücken in der Kausalkette der Ereignisse, und ist plausibel im Lichte dessen, was der Juror über die Welt glaubt (Pennington und Hastie, 1981)(2).
"Lautes Denken": Dieses Modell wurde durch Beobachtungen des "lauten Denkens" von Scheinjuroren (Pennington und Hastie, 1986)(3) sowie durch Experimente zur Untersuchung von Urteilen in Scheinstraf- und Scheinzivilprozessen (Huntley und Costanzo, 2003(4); Pennington und Hastie, 1992(5)) unterstützt.
Entscheidungsprozesse: Neuere experimentelle Untersuchungen zum kohärenzbasierten Denken haben ergeben, dass der Prozess der Entscheidungsfindung oft bidirektional ist (Holyoak und Simon, 1999)(6). Die Entscheidungsaufgabe, mit der Juroren konfrontiert werden, ist kognitiv komplex, weil sie die Berücksichtigung von Informationen erfordert, die umfangreich, widersprüchlich und mehrdeutig sind (D. Simon, 2004)(7).
Informationsverarbeitung: Um die große Menge an komplexen Informationen zu verarbeiten, die in einer Verhandlung präsentiert werden, rekonstruieren die Geschworenen die Informationen in einfachere mentale Repräsentationen, denen ihr kognitives System Kohärenz auferlegt (D. Simon, 2004)(7).
Schemata/Glauben/Überzeugungen: (...) die Geschworenen bringen ihre Alltagsvorstellungen von rechtlichen Kategorien wie Unzurechnungsfähigkeit, Selbstverteidigung und Vorsatz mit in den Gerichtssaal, und diese bestehenden Schemata beeinflussen, wie die Geschworenen Beweise bewerten und rechtliche Urteile fällen (Finkel, 2005(8); Finkel und Groscup, 1997(9); Robinson und Darley, 1995(10)). Selbst nachdem sie Anweisungen über die Definitionen von Straftaten wie Einbruch oder Raub erhalten haben, lassen die Geschworenen ihre Alltagsvorstellungen von diesen Delikten in ihre Entscheidungen einfließen.
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Vorhersage: (...) (Kalven und Zeisel, 1966)(11) (...) fanden heraus, dass ein Mehrheitsvotum der Geschworenen im ersten Wahlgang das endgültige Urteil in über 90% der Fälle vorhersagte, und sie stellten die Hypothese auf, dass sich die Beratung oft darauf konzentrierte, die Mitglieder der Minderheit zu überzeugen, ihr Votum zu ändern. Nachfolgende Forschungen wollten die Beziehung zwischen der Präferenz vor der Beratung und dem endgültigen Urteil genauer untersuchen. Tatsächlich scheinen unmittelbare Abstimmungen vor der Beratung nur in einer kleinen Minderheit der Fälle aufzutreten (Devine et al., 2004(12); Diamond und Casper, 1992(13); Diamond et al., 2003(14); Hastie, Penrod, und Pennington, 1983(15); Sandys und Dillehay, 1995)(16). Wenn der erste Wahlgang stattfindet und jeder Geschworene seine Präferenz verbal äußert, können die frühen Präferenzen die späteren Abstimmungen beeinflussen (J. H. Davis et al., 1988)(17). Die Gewissheit und das Vertrauen der Geschworenen in ihre Ansichten kann schwach sein, bevor die Beratungen beginnen, so dass einige erst dann beginnen, sich stark zu einer Seite zu neigen, nachdem umfangreiche Beratungen stattgefunden haben (Hannaford-Agor et al., 2002)(18).
Um den Einfluss des Jury-Beratungsprozesses zu verstehen, ist es daher wichtig, die Präferenzen der einzelnen Juroren vor der Beratung zu messen. >Verhandlungen/Sozialpsychologie
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1. Bennett, W. L. (1978). "Storytelling in Criminal Trials: A Model of Social Judgment." Quarterly Journa1 ofSpeech 64(1): 1-22. doi:10.1080/0033563 7809383408.
2. Pennington, N. and R. Hastie (1981). "Juror Decision-making Models: The Generalization Gap." Psychological Bulletin doi: 10.103 7 3-2909.89.2.246.
3. Pennington, N. and R. Hastie (1986). "Evidence Evaluation in Complex Decision Making." Journal of Personality and Social Psychology 51 (2):242-258. doi:10.1037/0022-3514.51.2.242.
4. Huntley, J. E. and M. Costanzo (2003). "Sexual Harassment Stories: Testing a Story-me-
diated Model of Juror Decision-making in Civil Litigation." Law and Human Behavior 27(1): 29-51.
5. Pennington, N. and R. Hastie (1992). "Explaining the Evidence: Tests of the Story Model for Juror Decision Making." Journal of Personality and Social Psychology 62(2): 189—206.
doi:10.1037/0022-3514.62.2.189.
6. Holyoak, K. J. and D. Simon (1999). "Bidirectional Reasoning in Decision Making by Constraint Satisfaction." Journal of Experimental Psychology: General 128(1): 3-31.
doi:10.1037/0096-3445.128.1.3.
7. Simon, D. (2004). "A Third View of the Black Box: Cognitive Coherence in Legal Decision
Making." University of Chicago Law Review 71(2): 511-586.
8. Finkel, N. J. (2005). Commonsense Justice: Jurors' Notions of the Law. Cambridge, MA: Harvard University Press.
9. Finkel, N. J. and J. L. Groscup (1997). "Crime Prototypes, Objective versus Subjective Culpability, and a Commonsense Balance." Law and Human Behavior 21 (2):209-230.
10. Robinson, P. H. and J. M. Darley (199 5).Justice, Liability, and Blame: Community Views and the Criminal Law. Boulder, CO: Westview Press.
11.Kalven, Harry, jr. And Hans Zeisel (1967). „The American Jury“. In: 24 Wash. & LeeL. Rev. 158 (1967),https://scholarlycommons.law.wlu.edu/wlulr/vol24/iss1/18
12. Devine, D. J., K. M. Olafson, L. L. Jarvis, J. P. Bott, L. D. Clayton, and J. M. T. Wolfe (2004).
"Explaining Jury Verdicts: Is Leniency Bias for Real?" Journal of Applied social Psychology 34(10): 2069-2098.
13. Diamond, S. S. andJ. D. Casper (1992). "Blindfolding the Jury to Verdict Consequences: Damages, Experts, and the Civil Jury." Law and society Review 26(3): 513 - 563. doi:10.2307/3053737.
14. Diamond, S. S., N. Vidmar, M. Rose, and L. Ellis (2003). "Juror Discussions during Civil Trials: Studying an Arizona Innovation." Arizona Law Review 45: 1.
15. Hastie, R., S. Penrod, and N. Pennington (1983). Inside the Jury. Cambridge, MA: Harvard
University Press.
16. Sandys, M. and C. Dillehay (1995). "First-ballot Votes, Predeliberation Dispositions, and Final Verdicts in Jury Trials." Law and Human Behavior 19(2): 175-195. doi:10.1007/ BF01499324.
17. Davis, J. H., M. F. Stasson, K. Ono, and S. Zimmerman (1988). "Effects of Straw Polls on Group Decision Making: Sequential Voting Pattern, Timing, and Local Majorities." Journal of Personality and Social Psychology 5 5(6): 918—926. doi:10.1037/0022-3514.55.6.918.
18. Hannaford-Agor, P., V. Hans, N. Mott, and T. Munsterman (2002). "Are HungJuries a Problem National Center for State Courts, available at https://www.ncjrs.gov/pdfilesl/
nij /grants/1993 72.pdf

Nadler, Janice and Pam A. Mueller. „Social Psychology and the Law“. In: Parisi, Francesco (Hrsg.) (2017). The Oxford Handbook of Law and Economics. Bd. 1: Methodology and Concepts. NY: Oxford University Press

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Gerichtsverfahren/rassische Voreingenommenheit/Sozialpsychologie/Nadler/Mueller: (...) viele Anwälte versuchen, (...) Geschworene auf der Grundlage ihrer Annahmen auszuwählen, dass schwarze Geschworene weniger wahrscheinlich Angeklagte, insbesondere schwarze Angeklagte, für schuldig befinden (Bonazzoli, 1998(1); Kerr et al., 1995(2)). In der Tat bieten Verhaltensforschung und Neuroimaging eine gewisse Unterstützung für diese Intuitionen, indem sie nahelegen, dass wir eher in der Lage sind, uns einzufühlen oder die Perspektive von Personen einzunehmen, die uns ähnlich sind (Cialdini et al., 1997(3); M. H. Davis et al., 1996(4); N. Eisenberg und Mussen, 1989(5); J. P. Mitchell, Macrae und Banaji, 2006(6); siehe jedoch Batson et al., 2005(7) für einen alternativen Verhaltensmechanismus).
Schwarzes-Schaf-Effekt: Es gibt jedoch Hinweise darauf, dass sich Menschen in manchen Situationen von Mitgliedern der "Ingroup", die schlechte Handlungen begangen haben, distanzieren wollen, das ist der "Schwarzes-Schaf-Effekt" (J. Marques et al., 1998(8); J. M. Marques, Yzerbyt und Leyens, 1988)(9). >Todesstrafe/Sozialpsychologie.

1. Bonazzoli, M. J. (1998). "Jury selection and Bias: Debunking Invidious Stereotypes through Science." Quinnapiac Law Review 18:247.
2. Kerr, N. L., R. W. Hymes, A. B. Anderson, and J. E. Weathers (1995). "Defendant-Juror Similarity and Mock Juror Judgments" Law and Human Behavior 19(6):545-567. doi:10.1007/BF01499374.
3. Cialdini, R. B., S. L. Brown, B. P. Lewis, C. Luce, and S. L. Neuberg (1997). "Reinterpreting the
Empathy-Altruism Relationship: When One into One Equals Oneness." Journal of Personality and social Psychology 73(3): 481-494. doi:10.1037/0022-3514.73.3.481.
4. Davis, J. H. (1996). "Group Decision Making and Quantitative Judgments: A Consensus Model," in E. H. Witte and J. H. Davis, Hrsg., Understanding Group Behavior, Bd. 1: Consensual Action By Small Groups, 35—59. Hillsdale, NJ: Lawrence Erlbaum Associates, Inc.
5. Eisenberg, N. and P. H. Mussen (1989). The Roots of Prosocial Behavior in Children. Cambridge: Cambridge University Press.
6. Mitchell, J. P., C. N. Macrae, and M. R. Banaji (2006). "Dissociable Medial Prefrontal Contributions to Judgments of Similar and Dissimilar Others." Neuron 50(4): 655-663.
doi:10.1016/j.neuron.2006.03.040.
7. Batson, C. D., D. A. Lishner, J. Cook, and S. Sawyer (2005). "Similarity and Nurturance: Two Possible Sources of Empathy for Strangers." Basic and Applied social Psychology 2 15-25.
8. Marques, J., D. Abrams, D. Paez, and C. Martinez-Taboada (1998). " The Role of Categorization and In-group Norms in Judgments of Groups and their Members." Journal of Personality and social Psychology doi:10.1037/0022-3514.75.4.976.
9. Marques, J. M., V. Y. Yzerbyt, andJ.-P. Leyens (1988). "The 'Black Sheep Effect': Extremity of Judgments Towards Ingroup Members as a Function of Group Identification." European Journal of Social Psychology 18(1): 1—16. doi:10.1002/ejsp.2420180102.

Nadler, Janice and Pam A. Mueller. „Social Psychology and the Law“. In: Parisi, Francesco (Hrsg.) (2017). The Oxford Handbook of Law and Economics. Bd. 1: Methodology and Concepts. NY: Oxford University Press

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Zeichenerklärung: Römische Ziffern geben die Quelle an, arabische Ziffern die Seitenzahl. Die entsprechenden Titel sind rechts unter Metadaten angegeben. ((s)…): Kommentar des Einsenders. Übersetzungen: Lexikon der Argumente
Der Hinweis [Begriff/Autor], [Autor1]Vs[Autor2] bzw. [Autor]Vs[Begriff] bzw. "Problem:"/"Lösung", "alt:"/"neu:" und "These:" ist eine Hinzufügung des Lexikons der Argumente.
Sozialpsychologie

Parisi I
Francesco Parisi (Ed)
The Oxford Handbook of Law and Economics: Volume 1: Methodology and Concepts New York 2017

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