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Zuschauereffekt: Der Zuschauereffekt oder Bystander-Effekt in der Psychologie ist ein soziales Phänomen, bei dem Personen in Notsituationen weniger bereit sind, Hilfe zu leisten, wenn andere anwesend sind. Siehe auch Hilfsverhalten, Sozialpsychologie, Entscheidungsprozesse.

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Anmerkung: Die obigen Begriffscharakterisierungen verstehen sich weder als Definitionen noch als erschöpfende Problemdarstellungen. Sie sollen lediglich den Zugang zu den unten angefügten Quellen erleichtern. - Lexikon der Argumente.

 
Autor Begriff Zusammenfassung/Zitate Quellen

Psychologische Theorien über Zuschauereffekt - Lexikon der Argumente

Haslam I 206
Zuschauereffekt/Psychologische Theorien: VsLatané, VsDarley: Das scheinbar robuste Fünf-Schritte-Modell (siehe unten) liefert den Forschern keine Hinweise, wie sie die Wahrscheinlichkeit von Interventionen von Zuschauern in gewalttätigen Notfällen erhöhen können:
Haslam I 205
(Latané und Darley, 1970(1)):
1) Feststellen, dass etwas passiert.
2) Das Ereignis als Notfall interpretieren.
3) Verantwortung für die Bereitstellung von Hilfe übernehmen.
4) Entscheiden, wie man sich verhalten soll.
5) Hilfe anbieten.
Haslam I 206
Verfahren/CherryVsLatané/CherryVsDarley: Frances Cherry (1995)(2) bietet eine faszinierende Analyse der Art und Weise, wie der Mord an Kitty Genovese (Hilfeverhalten/Darley
) in experimentelle Analogien übersetzt wurde. Sie weist darauf hin, dass es eine Reihe wichtiger Merkmale des Angriffs gab, von denen nur einige als Schlüsselereignisse identifiziert wurden, die einer experimentellen Analyse würdig sind. Cherry vermutet, dass dieser geschlechtsspezifische Aspekt des Ereignisses und der Gewalt für die Forscher zu dieser Zeit fast unsichtbar war. Wir sind heute sehr vertraut mit dem Begriff der häuslichen Gewalt - und mit der Sorge um männliche Gewalt gegen Frauen im öffentlichen und privaten Raum. In den frühen 1960er Jahren waren diese jedoch gesellschaftliche Anliegen, die noch nicht identifiziert waren.
In der Handvoll von Studien, die die Rolle von Gewalt und/oder Geschlecht untersuchen (Borofsky et al., 1971(3); Shotland und Straw, 1976(4); und in jüngerer Zeit Fischer et al., 2006(5); Levine and Crowther, 2008)(6), zeichnet sich eine weitaus differenziertere Geschichte ab. Beispielsweise intervenieren Zuschauer eher, wenn sie denken, dass Täter und Opfer Fremde und nicht Vertraute sind (Shotland and Strow, 1976)(4) oder wenn sie ihre Gruppenzugehörigkeit mit dem Opfer teilen (Levine and Crowther, 2008)(6).
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Levine: Es gibt mehrere mögliche Schilderungen des Mordfalls, z. B. eine, in der die Farbe des Opfers und der Mörder erwähnt oder nicht erwähnt worden wäre. Dementsprechend kann es sein, dass der begrenzte Nutzen der Zuschauerforschung darauf zurückzuführen ist, dass der Forscher diese alternativen Berichte nicht erforscht hat.
Im Genovese-Mordfall (>Hilfeverhalten/Darley) haben Rachel Manning und Kollegen (2007)(7) die Beweise erneut untersucht und festgestellt, dass es tatsächlich deutlich weniger als 38 Zeugen gab (wie von Latané und Darley berichtet). Bei dem Prozess wurden nur fünf Zeugen aufgerufen und diese auch, selbst wenn sie lediglich das Opfer und den Mörder zusammen gesehen haben. Es gibt zudem keine Beweise dafür, dass die Zeugen eine halbe Stunde lang voller Ehrfurcht und Faszination zugeschaut haben.
Haslam I 209
Schließlich gibt es Hinweise darauf, dass Zuschauer, weit davon entfernt passiv zu beobachten, mehrere Versuche unternommen haben einzugreifen. ((s) Ohnehin richtete die Kritik sich gegen die Zeitungsberichterstattung und nicht gegen die Forscher.
Populäre Gruppenpsychologie: Darüber hinaus hat diese Entwicklung des Denkens über das Nichteingreifen von Zuschauern zu diesem Bild beigetragen, indem es scheinbar darauf hindeutete, dass die Anwesenheit von anderen auch zu verhaltensbedingter "Hemmung" führen kann. (....) Gruppen könnte nun vorgeworfen werden, den perfekten Sturm negativer Folgen zu erzeugen - indem sie gleichzeitig unsoziales Verhalten freisetzen und prosoziales Verhalten unterdrücken.
Manning et al. (2007(7) argumentieren, dass dieses negative Bild der Gruppe bis heute die Phantasie der Forscher und Studenten beflügelt.
>Zuschauerffekt/Soziale Identitätstheorie.
Haslam I 213
Levine: Der Zuschauereffekt von Latané und Darley scheint eines der robustesten und zuverlässigsten Ergebnisse in der Sozialpsychologie zu sein. Und doch schien ihm bei aller Robustheit jeglicher praktischer Nutzen zu fehlen - er scheint lediglich auf die unvermeidlich negativen Auswirkungen von Gruppen auf das individuelle Verhalten hinzuweisen. In Übereinstimmung mit dieser Perspektive konnte Zimbardo (2004)(8) in seinem Katalog positiver Beiträge, die die Psychologie zur Verbesserung des sozialen Lebens geleistet hat, keinen Platz für den Zuschauereffekt finden.
>B. Latané, >J.M. Darley.

1. Latané, B. and Darley, J.M. (1970) The Unresponsive Bystander: Why Doesn’t He Help? New York: Meredith Corporation.
2. Cherry, F. (1995) The ‘Stubborn Particulars’ of Social Psychology. London: Routledge.
3. Borofsky, G.L., Stollak, G.E. and Messe, L.A. (1971) ‘Sex differences in bystander reactions to physical assault’, Journal of Experimental Social Psychology, 7: 313–18.
4. Shotland, R.L. and Straw, M.G. (1976) ‘Bystander response to an assault: When a man attacks a woman’, Journal of Applied Social Psychology, 101: 510-27.
5. Fischer, P., Greitemeyer, T., Pollozek, F. and Frey, D. (2006) ‘The unresponsive bystander: Are bystanders more responsive in dangerous emergencies?’, European Journal of Social Psychology, 36: 267–78.
6. Levine, M. and Crowther, S. (2008) ‘The responsive bystander: How social group membership and group size can encourage as well as inhibit bystander intervention’, Journal of Personality and Social Psychology, 95: 1429–39.
7. Manning, R., Levine, M. and Collins, A. (2007) ‘The Kitty Genovese murder and the social psychology of helping: The parable of the 38 witnesses’, American Psychologist, 62: 555–62.
8. Zimbardo, P.G. (2004) ‘Does psychology make a significant difference in our lives?’, American Psychologist, 59: 339–51.


Mark Levine, „ Helping in Emergencies. Revisiting Latané and Darley’s bystander studies“, in: Joanne R. Smith and S. Alexander Haslam (eds.) 2017. Social Psychology. Revisiting the Classic studies. London: Sage Publications

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Zeichenerklärung: Römische Ziffern geben die Quelle an, arabische Ziffern die Seitenzahl. Die entsprechenden Titel sind rechts unter Metadaten angegeben. ((s)…): Kommentar des Einsenders. Übersetzungen: Lexikon der Argumente
Der Hinweis [Begriff/Autor], [Autor1]Vs[Autor2] bzw. [Autor]Vs[Begriff] bzw. "Problem:"/"Lösung", "alt:"/"neu:" und "These:" ist eine Hinzufügung des Lexikons der Argumente.
Psychologische Theorien

Haslam I
S. Alexander Haslam
Joanne R. Smith
Social Psychology. Revisiting the Classic Studies London 2017

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