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Relativismus, Philosophie: Sammelbegriff für Auffassungen, die Erkenntnisse grundsätzlich auf Bedingungen für ihr Zustandekommen beziehen. Spielarten sind Relativierung auf Theorien, auf Sprachen, auf gesellschaftliche Gruppen oder auf Kulturen. Siehe auch Interner Realismus, Externalismus, Beobachtungssprache, Kulturrelativismus, Idealisierung.

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Anmerkung: Die obigen Begriffscharakterisierungen verstehen sich weder als Definitionen noch als erschöpfende Problemdarstellungen. Sie sollen lediglich den Zugang zu den unten angefügten Quellen erleichtern. - Lexikon der Argumente.

 
Autor Begriff Zusammenfassung/Zitate Quellen

Protagoras über Relativismus - Lexikon der Argumente

Gaus I 306
Relativismus/Protagoras/Keyt/Miller: In dem einleitenden und einzigen überlieferten Satz seines Werkes über die Wahrheit verkündete Protagoras berühmterweise, dass "der Mensch das Maß aller Dinge ist, der Dinge, die sind, und der Dinge, die nicht sind, die nicht sind". Platon nimmt Protagoras so auf, dass "die Dinge für mich sind, wie sie mir erscheinen, und für euch sind, wie sie euch erscheinen" (Krat. 386a) und allgemein, dass "was für jeden wahr zu sein scheint, für jeden wahr ist" (Krat. 386c). Der moralische Relativismus ist nur eine Anwendung dieses universellen Relativismus. In Sokrates' ausführlicher Darstellung von Protagoras in Platons Theaitetos werden ontologischer und moralischer Relativismus gemeinsam diskutiert. Nach dem Mensch-Maß-Prinzip: Wenn mir der Wind kalt ist, aber dir nicht, dann ist der Wind kalt für mich, aber nicht kalt für dich (Tht. 152b); und nach dem gleichen Prinzip: "Was jeder Polis als gerecht und fein erscheint, ist es auch für sie, solange sie an ihnen festhält" (Tht. 167c4-5). Wie die letztgenannte Passage deutlich macht, gilt der homo-mensura-Satz nach Platons Ansicht sowohl für Sammlungen von Männern als auch für einzelne Männer. In einer Passage wird Protagoras sogar dazu gebracht, seine Formel auf Einzelpersonen und Pole gleichgültig anzuwenden: "Was jeder Privatperson und jeder Polis erscheint, ist in Wirklichkeit für sie" (Tht. 168b5-6). Da nach der Maßformel des Menschen "scheint F für a" "ist F für a" bedeutet, gibt es für Protagoras nichts Ultimativeres als den Schein und nichts Tieferes als die Konvention. Insbesondere ist, wie Sokrates gebührend bemerkt, auf protagorischen Prinzipien keine Polis nur von Natur aus gegeben (Tht. 172b). Inwieweit Sokrates' Schilderung von Protagoras mit Sicherheit dem historischen Protagoras zugeschrieben werden kann, bleibt eine offene Frage. >Relativismus/Antike Philosophie
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Protagoras/Plato: Allein die Tatsache, dass Protagoras im Dialog nicht für sich selbst, sondern nur durch Sokrates spricht, sollte den Leser aufmerksam machen; es mag Platons Art und Weise sein, auf historische Genauigkeit zu verzichten. Einige Gelehrte meinen jedoch, dass es in den Reden des Sokrates Hinweise gibt, die es einem aufmerksamen Leser erlauben, die Ideen, die authentisch protagoreisch sind, von denen zu unterscheiden, die Platons eigene Erfindung sind. Wenn sich Sokrates beispielsweise auf die "Geheimlehre" von Protagoras bei Theaitetos 152cl0 bezieht, so wird dies von solchen Gelehrten als Hinweis darauf verstanden, dass Platon von einer Darstellung der expliziten Doktrin von Protagoras zu einer Implikation übergeht, die sich nach Platons Ansicht vernünftigerweise aus der expliziten Doktrin ableiten lässt (siehe beispielsweise McDowell, 1973(1): 121-2).
Gaus I 307
Platons Protagoras: Einige Gelehrte wie Gregor Vlastos (1956(2): xvii) glauben, dass Protagoras' Große Rede (>Protagoras/Platon) seinen Relativismus voraussetzt, während andere wie S. Moser und G. L. Kustas (1966)(3) jede Verbindung zum Relativismus bestreiten. In jedem Fall kann ein starkes Argument dafür angeführt werden, dass die Große Rede mit einem durchgreifenden Relativismus unvereinbar ist.
Gerechtigkeit: In der Großen Rede wird dem Menschen von Zeus Gerechtigkeit gegeben, um einem bestimmten Zweck zu dienen, nämlich um die Bande der Freundschaft zu schaffen, die eine Polis zusammenhalten. Dieser Zweck, oder dieses Ziel, scheint die Bandbreite der Vorstellungen von Gerechtigkeit zu begrenzen. Eine Vorstellung, die außerhalb dieses Bereichs liegt, die die Bande der Freundschaft nicht fördert, scheint nach der Theorie der Großen Rede überhaupt keine Vorstellung von Gerechtigkeit zu sein. >Demokratie/Protagoras.
Gaus I 307
Demokratie/Relativismus: (...) es scheint tatsächlich eine natürliche Allianz zwischen dem protagoräischen Relativismus und der Demokratie zu geben, wenn der Ort des Relativismus das Individuum ist (Taylor, 1976(4): 83-4). Nach diesem Relativismus ist alles, was dem Bürger A gut erscheint, gut für A, und alles, was dem Bürger B gut erscheint, ist gut für B (Tht. 166c-d). Aber A und B können keine Freunde sein, wenn sie sich gegenseitig das Gute konterkarieren. Wenn es also die Bande der Freundschaft geben soll, ohne die eine Polis nicht existieren kann, muss A das berücksichtigen, was B gut erscheint, und B das, was A gut erscheint, und im Allgemeinen muss jeder Bürger das berücksichtigen, was jedem anderen Bürger gut erscheint. Andernfalls entsteht Stillstand. Aber diese Philosophie "leben und leben lassen" ist eines der bestimmenden Merkmale der Demokratie.
Vs: Andererseits, wenn sich der Ort der Relativitätstheorie vom
Gaus I 308
Individuum zur Polis verschiebt, scheint der protagoräische Relativismus die Demokratie keiner anderen Regierungsform vorzuziehen: Wenn eine Oligarchie oder Monarchie den Bürgern einer Polis gerecht erscheint, ist die Oligarchie oder Monarchie nur für sie. (Rosen, 1994(5), ist ein nützlicher Überblick über die umfangreiche Literatur zu beiden Seiten dieses Themas).


1. McDowell, John (1973) Plato Theaetetus. Oxford: Clarendon.
2. Vlastos, Gregory (1956) 'Introduction' to Plato's Protagoras. Indianapolis: Bobbs-Merill.
3. Moser, S. and G. L. Kustas (1966) 'A comment on the relativism of the "Protagoras"'. Phoenix, 20: 111-15.
4. Taylor, C. C. W. (1976) Plato Protagoras. Oxford: Oxford University Press.
5. Rosen, F. (1994) 'Did Protagoras justify democracy?' Polis, 13: 12-30.

Keyt, David and Miller, Fred D. jr. 2004. „Ancient Greek Political Thought“. In: Gaus, Gerald F. & Kukathas, Chandran 2004. Handbook of Political Theory. SAGE Publications

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Zeichenerklärung: Römische Ziffern geben die Quelle an, arabische Ziffern die Seitenzahl. Die entsprechenden Titel sind rechts unter Metadaten angegeben. ((s)…): Kommentar des Einsenders. Übersetzungen: Lexikon der Argumente
Der Hinweis [Begriff/Autor], [Autor1]Vs[Autor2] bzw. [Autor]Vs[Begriff] bzw. "Problem:"/"Lösung", "alt:"/"neu:" und "These:" ist eine Hinzufügung des Lexikons der Argumente.
Protagoras

Gaus I
Gerald F. Gaus
Chandran Kukathas
Handbook of Political Theory London 2004

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