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Deliberative Demokratie | Sozialwahltheorie | Gaus I 146 Deliberative Demokratie/Sozialwahltheorie/Dryzek: Die deliberative Demokratie hat drei prominente Gruppen von Kritikern, die ansonsten absolut nichts gemeinsam haben: die Sozialwahl-Theoretiker, die Diversitätstheorien (engl. difference democrats) und die skeptischen Egalitaristen. Vgl. >Demokratie/Riker, >Demokratie/Sozialwahltheorie. Gaus I 147 Dryzek: [Die Sozialwahltheorie] (...) liefert eine Reihe von Warnungen darüber, wie demokratische Politik aussehen könnte, wenn sich die politischen Akteure nach der Art des Homo oeconomicus verhalten würden, und wenn es keine Mechanismen gäbe, um diese Verhaltensvorlieben und ihre Folgen einzudämmen. Die deliberative Demokratie bietet sowohl ein kommunikatives Paradigma des Menschseins als auch Mechanismen, um den Homo Oeconomicus und seine Interaktionen unter Kontrolle zu bringen (eine nicht-deliberative Alternative findet sich in Shepsles 1979(1), die Idee des strukturinduzierten Gleichgewichts von 1979). Nun können Sozialwahl-Theoretiker immer noch versuchen, die Deliberation mit kaltem Wasser zu übergießen, denn es ist leicht nachzuweisen, dass gerade die Bedingungen des freien Zugangs, der Gleichheit und der uneingeschränkten Kommunikation, die einer authentischen Deliberation förderlich sind, genau die Bedingungen sind, die Instabilität, Willkür und damit strategische Manipulation begünstigen (van Mill, 1996(2); siehe auch Grofman, 1993(3): 1578; Knight und Johnson, 1994)(4). VsVs: Abwägende Demokraten können antworten, dass es Mechanismen gibt, die der Deliberation immanent sind und die Präferenzen so strukturieren, dass Probleme der sozialen Wahl gelöst werden (Dryzek und List, 2003(5)). Beispielsweise kann die Deliberation eine Dimension, in der die Präferenzen nicht einen einzigen Höhepunkt erreichen (eine Hauptursache für Zyklen über drei oder mehr Alternativen hinweg, die der Grund für die von Riker identifizierte Art von Instabilität sind), in mehrere Dimensionen zerlegen, in denen jeweils ein einziger Höhepunkt vorherrscht (Miller, 1992)(6). VsDemokratie: In dem Maße, in dem diese deliberative Antwort gelingt, untergräbt die Sozialwahl-Kritik nur eine aggregierte Darstellung von Demokratie, in der sich alle Akteure strategisch verhalten, und kann tatsächlich eingesetzt werden, um zu zeigen, warum Deliberation notwendig ist. 1. Shepsle, Kenneth (1979) 'Institutional arrangements and equilibrium in multidimensional voting models'. American Journal of Political Science, 23:27—60. 2. Van Mill, David (1996) 'The possibility of rational outcomes from democratic discourse and procedures'. Journal of Politics, 58:734-52. 3. Grofman, Bernard (1993) 'Public choice, civic republicanism, and American politics: perspectives of a "reasonable choice" modeler'. Texas Law Review, 71: 1541-87. 4. Knight, Jack and James Johnson (1994) 'Aggregation and Deliberation: On the possibility of democratic legitimacy'. Political Theory, 22: 277-96. 5. Dryzek, John S. and Christian List (2003) 'Social choice theory and deliberative democracy: a reconciliation'. British Journal of Politica1 Science, 33: 1-28. 6. Miller, David (1992) 'Deliberative democracy and social choice'. Political Studies, 40 (special issue): 54—67. Dryzek, John S. 2004. „Democratic Political Theory“. In: Gaus, Gerald F. & Kukathas, Chandran 2004. Handbook of Political Theory. SAGE Publications |
Gaus I Gerald F. Gaus Chandran Kukathas Handbook of Political Theory London 2004 |
Demokratie | Fukuyama | Brocker I 806 Demokratie/Fukuyama: ist das Ordnungsmodell, das das menschliche Bedürfnis nach sozialer Anerkennung relativ gesehen besser befriedigt als andere Systeme. Mit dem Sieg dieses Modells endet der Kampf um Anerkennung und damit wird nach Fukuyama das Antriebsmoment der Geschichte gestoppt. Allerdings ist dies ein Pyrrhussieg, denn das Individuum brauche den Kampf. FukuyamaVsDemokratie: zu den Unzulänglichkeiten des Demokratiemodells gehört soziale Ungleichheit. Fukuyama prophezeit auch keinen schnellen Sieg der Demokratie. Der Kampf um sie wird zwischen einer sogenannten post-historischen Welt (in den Industriestaaten des Globalen Nordens) und einer historischen Welt (in den sich industrialisierenden Staaten des Globalen Südens) weiterhin ausgetragen. Relativ gesehen produziert das demokratische System jedoch am wenigsten Ungleichheit. Das demokratische System stellt selbst ein anzustrebendes Gut dar. FukuyamaVsDoyle, Michael/FukuyamaVsRussett, Bruce: Fukuyama teilt zwar die These von Doyle (1986)(1) und Russett (1993)(2), dass Demokratien untereinander friedlich, aber Kriege zwischen Demokratien und Nicht-Demokratien wahrscheinlich sind. Er geht aber darüber hinaus und erblickt im immerwährenden Streben nach Anerkennung eine potenzielle Kriegsursache. Brocker I 808 Demokratisierung/Geschichte/Fukuyama: der Ausbreitungsprozess der Demokratie beginnt für Fukuyama Mitte der 1970er Jahre mit der - nach Huntington – sogenannten „Dritten Welle der Demokratisierung“. Diese begann mit der Nelkenrevolution in Portugal 1974, erfasst dann Lateinamerika, Osteuropa und Ostasien, um schließlich in Afrika ihr vorläufiges Ende zu finden. Siehe Geschichte/Fukuyama, Universalgeschichte/Fukuyama. Brocker I 815 Demokratien/MillerVsFukuyama/MaceyVsFukuyama: 1. Fukuyama überschätzt die tatsächliche Ausbreitung von Demokratien und deren vermeintliche Konsequenzen. Viele Staaten werden von ihm als liberal-demokratisch aufgefasst, die diesen Namen nicht verdienen, Bsp Iran, Peru, Singapur. (4) (geschrieben 1992). 2. VsFukuyama: Das Zusammenspiel von Kapitalismus und Demokratie funktionieren selbst in den USA nicht reibungslos. (1) 3.VsFukuyama: Fukuyama verwische die Unterschiede zwischen demokratischen Systemen, insbesondere zwischen inklusiven und exklusiven Demokratien. (1) Genau diese Blindheit führe aber zu dem Fehlschluss, dass eine Ausbreitung von Demokratien zum Ende der Geschichte führe. Lösung/Miller/Macey: These: die Geschichte beginnt erst! Und zwar im Sinne eines Kampfes um dasjenige System, das sich am besten mit einem kapitalistischen Wirtschaftssystem verbinden lasse. (3) Liberalismus/MillerVsFukuyama/MaceyVsFukuyama: Wenn Fukuyama von liberalen Demokratien spricht, unterschiedet er nicht zwischen Liberalismus und Demokratie. Tatsächlich gibt es aber einen Unterschied, je nachdem ob es um den Vorrang von Rechten geht oder um Mehrheitsentscheidungen. Je breiter die Sphäre der Brocker I 816 individuellen Rechte werde, desto schwieriger werde es, Mehrheiten zu organisieren. Fukuyamas Fehler sei es, Demokratien dann als liberal zu bezeichnen, sobald sie bestimmte Rechte (Eigentum, freie Marktwirtschaft) anerkennen. In Wirklichkeit seien aber viele der Staaten, die Fukuyama als Demokratien klassifiziert, nicht liberal. 1. Michael W. Doyle, „Liberalism and World Politics“, in: American Political Science Review 80/4, 1986, S. 1151-1169. 2. Bruce M. Russett, Grasping the Democratic Peace. Principles for a Post-Cold War World, Princeton 1993. 3. Jonathan R. Macey/Geoffrey P. Miller, “The End of History and the New World Order. The Triumph of Capitalism and the Competition between Liberalism and Democracy”, in: Cornell International Law Journal 25/2, 1992, S. 277-303. 4. Ebenda S. 281f. Anja Jetschke, „Francis Fukuyama, Das Ende der Geschichte“, in: Manfred Brocker (Hg.) Geschichte des politischen Denkens. Das 20. Jahrhundert. Frankfurt/M. 2018 |
PolFuku I Francis Fukuyama The End of History and the Last Man New York 1992 Brocker I Manfred Brocker Geschichte des politischen Denkens. Das 20. Jahrhundert Frankfurt/M. 2018 |
Demokratie | Jonas | Brocker I 611 Demokratie/Politik/Ökologie/JonasVsDemokratie/Jonas/Brocker: Um dem »Nein zum Nichtsein«(1) von Mensch und Natur Wirkung zu verleihen, möchte Jonas eher auf politische Eliten (2) und staatliche Zwangsmittel setzen als auf die Kraft des Arguments in einer deliberierenden Demokratie, in der die Bürger selbst die notwendigen Änderungen herbeiführen. (Zusammenhang: Siehe Ethik/Jonas, Ökologischer imperativ/Jonas). Brocker I 612 Demokratie/Jonas: müsse zumindest „zeitweilig, (…) suspendiert“ werden. (3) Verantwortung/BrockerVsJonas: hier bleibt offen, wie „Verantwortung“ denn nun konkret übernommen werden soll. (Siehe Verantwortung/Jonas.) 1. Hans Jonas, Das Prinzip Verantwortung. Versuch einer Ethik für die technologische Zivilisation, Frankfurt/M. 1979, S. 250. 2.Ebenda S. 263 3. Hans Jonas, »Naturwissenschaft versus Natur-Verantwortung. Hans Jonas im Gespräch mit Eike Gebhardt«, in: Dietrich Böhler (Hg.), Ethik für die Zukunft. Im Diskurs mit Hans Jonas, München 1994, S. 211. Manfred Brocker, „Hans Jonas, Das Prinzip Verantwortung“ in: Manfred Brocker (Hg.) Geschichte des politischen Denkens. Das 20. Jahrhundert. Frankfurt/M. 2018 |
Jonas I Hans Jonas Das Prinzip Verantwortung. Versuch einer Ethik für die technologische Zivilisation Frankfurt 1979 Brocker I Manfred Brocker Geschichte des politischen Denkens. Das 20. Jahrhundert Frankfurt/M. 2018 |
Demokratie | Sozialwahltheorie | Gaus I 146 Demokratie/Sozialwahltheorie/Dryzek: Die Sozialwahl-Theorie der Demokratie orientiert sich an Kenneth Arrow's (1951)(1) Demonstration der Unmöglichkeit eines kollektiven Wahlmechanismus, wie z.B. ein Wahlsystem, das gleichzeitig eine Reihe harmloser Bedingungen erfüllt (Einstimmigkeit, Nicht-Diktatur, Transitivität, uneingeschränkter Bereich der Präferenzen und Unabhängigkeit von irrelevanten Alternativen). (VsDemokratie). William Riker (1982)(2) radikalisierte die Sozialwahl-Kritik der Demokratie, indem er feststellte, dass unterschiedliche Wahlsysteme und -regeln das Arrow-Problem nur dadurch umgehen, dass sie ein Element der Willkür in die kollektive Wahl einführen. Angesichts der Tatsache, dass unterschiedliche Mechanismen bei identischer Verteilung der Präferenzen zu unterschiedlichen Ergebnissen führen, gibt es keinen Volkswillen, der unabhängig von dem Mechanismus ist, der ihn feststellt. Dies gilt insbesondere dann, wenn es, wie Riker glaubt, keinen besonderen Grund gibt, einen Mechanismus (z.B. Mehrheitsregel oder Zustimmungsabstimmung oder Konsens) einem anderen vorzuziehen. In diesem Fall ist die Demokratie dann entleert. >Deliberative Demokratie/Dryzek. (...) Öffentlichkeitswahl-Theoretiker haben wie folgt argumentiert: - In politischen Systemen jeder Größe ist das Wählen irrational. - Die Mehrheitsregel bringt die Pareto-suboptimale Ausbeutung von Minderheiten mit sich. - Eigennützige gewählte Vertreter schaffen bestenfalls Programme, die ihren eigenen Wählern auf Kosten des öffentlichen Interesses zugute kommen, im schlimmsten Fall gestalten sie Programme absichtlich so schlecht, dass ihre eigene Fürsprache erforderlich ist, um Vorteile zu erzielen. - Die Höhe der öffentlichen Ausgaben ist meist eine Folge der eigennützigen Bürokraten, die ihre Budgets maximieren. Bürokraten können sich mit besonderen Interessengruppen und den sie unterstützenden Politikern verschwören, um öffentliche Mittel zu ihrem eigenen Vorteil umzuleiten. - Allgemeiner gesagt, "Verteilungskoalitionen" wie Gewerkschaften und Arbeitgeber sichern Gesetze und Politiken zum Schutz ihrer eigenen Privilegien auf Kosten der wirtschaftlichen Effizienz. Gaus I 147 - Demokratische Politik ist von Natur aus unverantwortlich, weil alle Akteure Vorteile für sich selbst suchen, während sie anderen Kosten aufbürden; das Ergebnis ist ein Negativsummenspiel, bei dem die Gesamtkosten den Gesamtnutzen überwiegen. 1. Arrow, Kenneth J. (1951) Social Choice and Individual Values. New York: Wiley. 2. Riker, William H. (1982) Liberalism against Populism: A Confrontation between the Theory of Democracy and the Theory of Social Choice. San Francisco: Freeman. Dryzek, John S. 2004. „Democratic Political Theory“. In: Gaus, Gerald F. & Kukathas, Chandran 2004. Handbook of Political Theory. SAGE Publications |
Gaus I Gerald F. Gaus Chandran Kukathas Handbook of Political Theory London 2004 |
Herrschaft | al-Mawardi | Höffe I 131 Herrschaft/Staat/al-Mawardi/Höffe: Der Kalif, in Personalunion auch Imam, also religiöser Führer, [muss ]sieben Bedingungen erfüllen. Zu ihnen gehören außer geistiger und körperlicher Gesundheit die Kenntnis der (islamischen) Religion. Quraisch/Abbasiden/al-Mawardi: Hinzu kommt eine ethnische Voraussetzung, mit der al-Mawardi im politischen Streit seiner Zeit Partei ergreift. Denn die Voraussetzung erfüllt lediglich das abbasidische Kalifat, nicht seine beiden Konkurrenten. Er verlangt die Abstammung aus dem arabischen Stamm des Propheten Mohammed, der Quraisch. Ungehorsam: Al-MawardiVsDemokratie: Politisch nicht minder wichtig ist die stillschweigende Ablehnung jedes Widerstandsrechts und jeden Rechts auf einen etwaigen Tyrannenmord: Einmal durch den Treue- und Unterwerfungseid eingesetzt, kann der Herrscher nie mehr abgesetzt werden. Gott allein verantwortlich, kann er auch nur durch Gott bestraft werden. >Demokratie, >Tyrannei, >Islam. |
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Herrschaft | Isokrates | Höffe I 48 Herrschaft/Isokrates/Höffe: Xenophons Zeitgenosse Isokrates (436–338 v. Chr.) lobt Alexanders Vater, den makedonischen König Philipp II., als Führer der Hellenen, also nicht einer einzelnen Stadtrepublik, sondern des gesamten Griechentums, und ruft die Griechen zur Eintracht auf. Griechentum: Im Panegyrikos, einer Festrede, singt er ein von Selbstkritik ungetrübtes Lob auf das Griechentum, des Näheren auf Athen als Wiege aller menschlichen Kultur. Frieden: In der Friedensrede überträgt Isokrates die bislang auf das Zusammensein der Bürger bezogene Eintracht auf den Zusammenhalt der griechischen Städte und hebt im Philippos den makedonischen König in den Rang eines «Vorstehers der Eintracht». IsokratesVsDemokratie: Im Areopagitikos - auf dem Areopag tagt Athens höchstes Gericht - kritisiert er wegen ihrer Vielgeschäftigkeit die radikale Demokratie. DemosthenesVsIsokrates siehe >Korruption/Demosthenes. |
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